Stefan
Matysiak: Die Wiedergeburt der Hildesheimer Lokalpresse 1945 (Eine Langfassung
dieses Themas mit Anmerkungen, Quellen und Abbildungen erschien im Hildesheimer
Jahrbuch Bd. 74)
Inhalte:
Gliederung:
Die
britische Heeresgruppenpresse
Als das Deutsche Reich im
Frühjahr 1945 zusammenbrach, ging auch die nationalsozialistische
Presse unter. Norddeutschland wurde von Briten und Amerikanern besetzt.
Die von dem britischen Feldmarschall Montgomery befehligte kanadisch-britische
21. Heeresgruppe eroberte ein Gebiet, das von Ostfriesland und dem Land
Oldenburg über das Elbe-Weser-Dreieck und die Lüneburger Heide
bis nach Hamburg und Schleswig-Holstein reichte. Die 12. Heeresgruppe von
US-General Eisenhower kam in den südhannoverschen Raum mit Hildesheim
sowie nach Braunschweig, übergab diese Gebiete jedoch Anfang Juni
1945 an die britische Besatzungsmacht. Beim Einrücken der westalliierten
Truppen mussten alle noch erschienenen Zeitungen schließen: Briten
und Amerikaner setzten einen weitgehenden Blackout der Presse durch
(Übersicht 1). Die deutschen Zeitungen, die auch in Niedersachsen
bis zuletzt den Endsieg beschworen hatten, sollten keinerlei nationalsozialistische
Propaganda mehr veröffentlichen können.
In einer dritten Phase des
Presseneuaufbaus wurden die Heeresgruppenblätter (im amerikanischen
Machtbereich ab August 1945 und in der britischen Zone ab Januar 1946)
schrittweise durch Zeitungen ersetzt, bei denen Deutsche die verlegerische
und redaktionelle Verantwortung trugen. Zu diesen nach ihrem Genehmigungsverfahren
Lizenzzeitungen
genannten Blättern gehörten in der amerikanischen Zone die heute
noch bestehende
Frankfurter Rundschau oder die Süddeutsche
Zeitung und in der britischen Zone die Nordwest-Zeitung oder
die Braunschweiger Zeitung. Die Lizenznehmer durften zwischen 1933
und 1945 im Deutschen Reich nicht bei einer Zeitung gearbeitet haben.
Die britische
Heeresgruppenpresse
Die Verbreitungsgebiete
der britischen Heeresgruppenzeitungen und insbesondere ihrer Lokalausgaben
waren bislang nur grob bekannt. Insgesamt erschienen auf dem Gebiet der
britischen Militärverwaltung neben einer anfangs herausgegebenen überregionalen
Zeitung namens Mitteilungen 19 regionale Heeresgruppenblätter
(Übersicht 2) sowie zusätzlich die am 2. April 1946 gegründete
überregionale Welt.
Bei diesen Zeitungen handelte
es sich um Organe der Besatzungsarmee, die ihren offiziellen Charakter
durch Untertitel wie "Nachrichtenblatt der Alliierten Militär-Regierung"
oder "Herausgegeben von den britischen Militärbehörden" verdeutlichten.
Die Militärverwaltung brauchte diese Blätter zur Steuerung der
durch Krieg und Flucht umgewälzten Bevölkerung. Die Zeitungen
sollten das Chaos im zusammengebrochenen Hitlerreich ordnen helfen, sie
druckten Befehle und gaben die Aufhebung der alten NS-Gesetze bekannt.
Die Leser wollten schwarz auf weiß und regelmäßig über
die Gültigkeit von Lebensmittelmarken und die Dauer der Ausgangssperren
informiert werden. Für diese Aufgaben eigneten sich vor allem Zeitungen.
Neben diesen praktischen Zielen hatten die britischen Redaktionen, so Generalmajor
W.H.A. Bishop, Chef der britischen Informationskontrolle PR/ISC (Public
Relation/Information Services Control), die propagandistischen Aufgabe,
den Aufbauwillen der Bevölkerung zu stärken und nicht zuletzt
Vertrauen in die Besatzungstruppen zu erzeugen: "Feldmarschall Montgomery
hat gesagt, daß wir helfen müssen, bei der deutschen Bevölkerung
Müßigkeit, Langeweile und Angst vor der Zukunft zu überwinden.
Wir müssen der deutschen Bevölkerung daher ein Gefühl für
Orientierung, Zielsetzung und Verantwortlichkeit geben." In der zweiten
Jahreshälfte 1945 übernahm die Heeresgruppenpresse als publizistische
Aufgabe verstärkt die Umerziehung und die Aufklärung über
die Verbrechen des Nationalsozialismus.
Ihr Inhalt umfasste nationale
und internationale Meldungen und Berichte, ein Feuilleton und Wirtschaftsnachrichten,
amtliche Bekanntmachungen sowie Anzeigen. Im Laufe der Zeit kamen Kinder-Rubriken
und spezielle Angebote für Frauen hinzu. Ab Herbst 1945 nahm die Berichterstattung
über das Nürnberger Militärtribunal und über den Bergen-Belsen-Prozess
breiten Raum ein. Die Zeitungen hatten vier bis sechs Seiten und erschienen
anfangs zumeist wöchentlich, später zweimal in der Woche. In
den ersten Wochen wurden sie verschenkt, später waren 20 Pfennig zu
bezahlen. Die Auflagen pendelten zwischen 10.000 und 1.000.000 Exemplaren
(Übersicht 3), wobei je ein Zeitungsexemplar auf fünf etwa Einwohner
kam.
Anders als die amerikanische
Heeresgruppenpresse bestimmten ihre britischen Pendants für einen
vergleichsweise langen Zeitraum die politische Landschaft. Während
die US-Armee ihre Heeresgruppenzeitungen früh durch von Deutschen
verantwortete Blätter ersetzte (als erstes die Frankfurter Rundschau
am 1.8.45; für Bremen und das niedersächsische Umland ab 15.9.45
der Weser-Kurier), begannen die Briten erst Anfang 1946 mit der
Schließung ihrer Heeresgruppenpresse und der ersatzweisen Lizensierung
deutscher Zeitungen (Braunschweiger Zeitung und Lüneburger
Landeszeitung). Zwar hatten die Briten ebenfalls bereits Ende August
1945 die Erteilung von Lizenzen an deutsche Verleger angekündigt,
die Umsetzung dieser Ankündigung geriet jedoch immer wieder ins Stocken
und die Schließung der Heeresgruppenzeitungen zog sich hin. Die letzte
britische Heeresgruppenzeitung wurde erst im März 1946 in Osnabrück
gegründet (Übersicht 2).
Bis Anfang Januar 1946 genehmigte
die britische Militärregierung - anders als auf amerikanischer Seite
- keine eigenverantwortlich von Deutschen geführten Zeitungen, sondern
beschritt einen eigenen Weg bei der Wiederbeteiligung Deutscher an der
Pressearbeit. Die britischen Presseoffiziere legten "großen Wert
auf die behutsame Wiederherstellung des Verhältnisses der Deutschen
zur Demokratie [...], indem sie die Bevölkerung allmählich wieder
an eine freie Presse heranzuführen beabsichtigten". Die Genehmigung
deutscher Zeitungen sollte "sich nur schrittweise vollziehen" und vor allem
die Auswahl der neuen Verleger und Redakteure "mit der größten
Sorgfalt" erfolgen.
Zwar bekamen Deutsche in
der britischen Zone nicht sofort eigene Zeitungen genehmigt, wurden dafür
aber anders als bei den Amerikanern frühzeitig voll in die Arbeit
der von der Armee herausgegebenen Zeitungen integriert. Anfang Juli 1945,
als die US-Alliierten deutschen Redakteuren noch verantwortungsvolle Aufgaben
verweigerten, erschien das britische Armeeblatt Neue Westfälische
Rundschau bereits unter einem deutschen Chefredakteur. Die Produktion
des Kölnischen Kuriers und der Ruhr Zeitung wurden im
August 1945 einer deutschen Redaktion übertragen, und auch der Neue
Hannoversche Kurier bekam mit Walter Spengemann einen deutschen Chefredakteur.
Da in ihren Heeresgruppenblättern deutsche Redaktionen arbeiteten,
fühlten sich die britischen Besatzungsbehörden anders als die
Amerikaner "offenkundig sehr viel weniger dazu veranlaßt", deutschen
Verlagen vollständig die Verantwortung für die Zeitungsproduktion
zu übertragen, was die rechtliche Abnabelung der von der Armee kontrollierten
Presse weiter hinausschob.
Die gegenüber den US-Militärs
verzögerte Genehmigung eigenständiger deutscher Zeitungen wurde
zusätzlich durch einen Wechsel in der Pressepolitik gehemmt: Die Briten
entschieden sich im Herbst 1945 dafür, im Zuge der 3. Phase der britischen
Zeitungspläne (Übersicht 1) ihre Heeresgruppenblätter nicht
wie zuvor geplant (und von den USA auch umgesetzt) durch überparteiliche
Zeitungen zu ersetzen, sondern parteinahe Blätter zu lizensieren.
Bevor die Presse vollständig in deutsche Hände übergeben
werden konnte, mussten somit erst die noch fehlenden politischen Vorschriften
über die Gründung neuer Parteien abgewartet werden.
Mit dem Konzept von parteinahen
sogenannten 'Parteirichtungszeitungen' wollte die Besatzungsmacht in der
Nach-Hitler-Ära die deutsche Bevölkerung den demokratischen Wettbewerb
üben lassen und so einen Beitrag zur demokratischen Umerziehung leisten.
Die Deutschen sollten lernen, sich auf der Grundlage mehrerer politisch
unterschiedlich
gefärbter Zeitungen eine eigene Meinung zu bilden. Diese Pressepolitik
der Briten verlangte, dass für jede Parteirichtung ein eigenes Blatt
lizensiert wurde. Die Auflagen wurden später entsprechend des Stimmenverhältnisses
der Reichstagswahlen von 1932 festgesetzt und entsprechend des Erfolgs
der Parteien bei den ersten Landtagswahlen korrigiert. Überparteiliche
Zeitungen sollten lediglich dort erscheinen, wo die Bevölkerungsdichte
zu gering war, um mehreren Blättern das Leben zu ermöglichen.
Bereits im Herbst des Jahres
1945 war jedoch klar geworden, dass die Realisierung einer großer
Zahl von Zeitungen aus Versorgungsgründen sehr schwer werden würde.
"Die grosse Papiernot mache es unwahrscheinlich, alsbald mit der Zulassung
unserer Parteipresse zu rechnen", notierte etwa im Oktober 1945 die SPD
nach einer Konferenz sozialdemokratischer Verlags- und Pressevertreter.
Denn unter dem Strich bedeutete dieses auf Vielfalt zielende Konzept von
miteinander konkurrierenden Parteizeitungen eine Verdreifachung des Presseangebotes.
Angesichts der "Hemmnisse der Trümmergesellschaft" und insbesondere
wegen der extremen Papierknappheit mussten die britischen Pläne schnell
an ihre Grenzen stoßen. In der britischen Zone existierte lediglich
eine Papiermühle, die jedoch beschädigt worden war. Die Erteilung
einer größeren Zahl von Zeitungslizenzen für deutsche Verleger
setzte deshalb einige Reparaturmaßnahmen an der Papierfabrik voraus
und konnte deshalb lediglich "parallel zur Kapazität der Feldmühle"
erfolgen.
Die Ablösung der britischen
Heeresgruppenpresse verzögerte sich zusätzlich durch den Wechsel
der Regierung in London und die Demobilisierung der britischen Armee, was
zu einer hohen Fluktuation und häufigem Wechsel der verantwortlichen
Besatzungsoffiziere führte. Die Folge waren häufige Unterbrechungen
der Diskussionsprozesse und Pausen bei der Umsetzung der Genehmigungsverfahren.
Wegen der nur langsamen
Zulassung deutscher Zeitungen war den britischen Heeresgruppenblättern
anders als ihren amerikanischen Pendants kein schnelles Ende bestimmt,
sondern sie erhielten einen auf viele Monate angelegten Erziehungs- und
Bildungsauftrag zugewiesen. Diese längerfristige publizistische Aufgabe
machte es notwendig, dass sich die Besatzungsoffiziere bei ihren Zeitungen
intensiver verlegerisch engagierten. Die einzelnen Heeresgruppenzeitungen
experimentierten mit unterschiedlichen Layouts und versuchten auch die
Landbevölkerung zu erschließen. In der Folge kam es deshalb
zu einer starken regionalen und später lokalen Ausdifferenzierung
der britischen Heeresgruppenpresse, die in der amerikanischen Besatzungszone
unbekannt war.
Die regionale
Ausdifferenzierung der Heeresgruppenzeitungen in Niedersachsen
Noch Anfang Mai 1945 war
die Bevölkerung des späteren Landes Niedersachsen lediglich über
das überregionale Heeresgruppenblatt Die Mitteilungen informiert
worden, das zu Beginn der zweiten Phase der alliierten Pressepolitik durch
die Briten im gesamten norddeutschen Raum vertrieben wurde und das in einer
eigenen Ausgabe auch im amerikanischen Machtbereich erschien. Diese überregionale
Zeitung wurde bald durch Heeresgruppenzeitungen ersetzt, die lediglich
regionale Verbreitungsgebiete hatten.
Die erste dieser regionalen
Heeresgruppenzeitungen war in Norddeutschland bereits am 4. Mai 1945 von
der US-Armee herausgegeben worden, der im amerikanisch besetzten Braunschweig
produzierte Braunschweiger Bote. Als die Briten Anfang Juni 1945
das Land Braunschweig und den Süden der Provinz Hannover von den Amerikanern
übernahmen, wurde der Braunschweiger Bote jedoch aus Papiermangel
wieder eingestellt.
Die regionale Heeresgruppenpresse
der britischen Besatzungsmacht startete auf dem Gebiet des heutigen Landes
Niedersachsen erst am 29. Mai 1945 mit dem Neuen Hannoverschen Kurier
und am 6. Juni mit den Nordwest-Nachrichten in Oldenburg. Hildesheim
gehörte dabei zum Verbreitungsgebiet des Neuen Hannoverschen Kuriers.
Für die Insassen der Kriegsgefangenenlager wurden zudem in ganz Norddeutschland
verschiedene eigene Nachrichtenblätter herausgegeben, darunter das
nicht nur in den Gefangenenlagern sondern auch im Stadtgebiet von Hannover
vertriebene Hannoversche Nachrichtenblatt.
Auch der westliche Teil
des heutigen Landes Niedersachsen bekam mit den abwechselnd erschienen
Nordwest-Nachrichten
und dem
Neuen Oldenburger Tageblatt eigene Heeresgruppenblätter,
die bereits Mitte Juli 1945 jeweils über die vier Teilausgaben Oldenburg/Wilhelmshaven,
Ostfriesland, Osnabrück und Emsland verfügten. Zum 1. März
1946 gliederte die Militärverwaltung hieraus als eigenständiges
Nachrichtenblatt die Osnabrücker Rundschau aus.
Insgesamt sollten die britischen
Besatzungsbehörden für das Gebiet des späteren Landes Niedersachsen
sieben nach Regionen betitelte Nachrichtenblätter herausgeben, ein
weiteres Blatt (die Neue Westfälische Zeitung aus Oelde) kam
zusätzlich kurzzeitig aus Westfalen herüber. In der damaligen
amerikanischen Enklave Bremen, die neben der Hansestadt samt Bremerhaven
damals auch das heute zu Niedersachsen gehörende Umland mit den Landkreisen
Osterholz, Wesermarsch und Wesermünde umfasste, berichtete der US-amerikanische
Weser-Bote.
Mit der wachsenden Zahl
von Nebenausgaben reagierten die Militärbehörden auf Forderungen
der deutschen Bevölkerung nach regionaler und lokaler Information.
Die neue Osnabrücker Rundschau, so erläuterte etwa die
Militärverwaltung anlässlich des Neuerscheinens der britischen
Armeezeitung, erscheine "für die Leser des hannoverschen Regierungsbezirks
Osnabrück, denen damit ein langgehegter Wunsch erfüllt ist: Unabhängig
von benachbarten Wirtschaftsgebieten besitzen sie nunmehr ihre eigene Zeitung".
Bei der Pressepolitik der
Militärregierung wird dabei die Tendenz erkennbar, die Pressestruktur
erst den Regierungsbezirken und Ländern auf dem Gebiet des heutigen
Landes Niedersachsen anzupassen und später Teilausgaben mit Wechselseiten
für noch kleinere Erscheinungsgebiete herauszugeben. Da die Verbreitungsgebiete
der späteren Lizenzzeitungen ebenfalls mindestens einen Regierungsbezirk
umfassen sollten, kann in dieser regionalen Ausdifferenzierung der Heeresgruppenpresse
eine Vorbereitung auf die später eigenverantwortlich von Deutschen
getragene Presselandschaft gesehen werden.
Beiträge mit den lokalen
Informationen aus 'Stadt und Land' fanden sich in der Regel jeweils auf
der dritten Seite der Heeresgruppenzeitungen: "Sie diente im eigentlichen
Sinne als Mitteilungsblatt der örtlichen Militärregierung oder
der Kommunalverwaltung." Der lokale und regionale Bezug wurde im Blattinneren
jeweils durch besondere Vignetten kenntlich gemacht, beispielsweise bei
der Ausgabe Braunschweig des Neuen Hannoverschen Kurier durch das
Löwendenkmal mit Till Eulenspiegel, in der Ausgabe Hannover durch
die Marktkirche und ein Niedersachsenhaus sowie in Hildesheim durch das
Knochenhaueramtshaus mit Marktbrunnen.
Anfangs hatten die Beiträge
auf diesen Seiten weniger ein lokales als ein bezirkliches Berichtsgebiet.
Die Hannoversche Bezirksseite enthielt in den ersten Wochen auch Beiträge
aus Hameln oder Rotenburg, die Hildesheimer Bezirksseite berichtete auch
aus Peine, Göttingen oder Hann.-Münden. Die Leserschaft in Verden
musste deshalb davon lesen, dass im 100 km entfernten Hameln nur im Schichtdienst
unterrichtet werden konnte, weil in der dortigen Schule noch ein Lazarett
untergebracht war. Umgekehrt war bis hinunter nach Göttingen zu erfahren,
dass auf der anderen Harzseite der städtische Chor aus Peine seine
Singabende wieder aufgenommen hatte.
Für den Umfang an lokalen
Meldungen bedeuteten die großen Berichtsgebiete große Nachteile:
Die ländliche und kleinstädtische Bevölkerung abseits der
Redaktionszentren fand nur sporadisch die sie direkt betreffenden Informationen,
was zu Kritik und Beschwerden führte. Für die meisten Leser hatten
die Lokalmeldungen aus fremden Orten nur einen geringen Nachrichtenwert.
Die Militärverwaltung begründete diese breit verstreute lokale
Berichterstattung "aus einer Stadt in einem völlig verschiedenen Bezirk"
vor allem mit dem der Nachkriegswirtschaft herrschenden Papiermangel und
den zerstörten Druckkapazitäten, aber auch mit der zerstörten
Verkehrsinfrastruktur.
Indem nach und nach die
britische Militärregierung Lokalausgaben einrichtete, bekam die niedersächsische
Bevölkerung endlich die Gelegenheit, die sie direkt betreffenden lokalen
Ereignisse zu verfolgen.
Die erste Hildesheimer Lokalseite
der Nachkriegszeit erschien am 20. Juli 1945 im Neuen Hannoverschen
Kurier. Das britische Blatt war bereits seit dem 29. Mai erschienen,
hatte jedoch in der ersten Zeit nur vereinzelt auch aus Hildesheim berichtet.
Zwar konnte die Leserschaft der Domstadt auf einer der zumeist vier Seiten
lokale Informationen finden, doch die meisten stammten aus irgendwelchen
anderen norddeutschen Städten. Nach der Gründung eine Braunschweiger
Lokalausgabe Ende Juli, die auch in Hildesheim und im südhannoverschen
Raum vertrieben wurde, erschienen in der Domstadt für anderthalb Wochen
gar nur noch Lokalseiten aus Braunschweig.
Als schließlich am
20. Juli 1945 die erste Hildesheimer Regionalseite nach dem Krieg erschien,
lautete ihre Schlagzeile: "Neues Leben regte sich in Hildesheim". Der dazugehörige
Beitrag beschrieb die Aufbauleistungen in den Bereichen Wirtschaft und
Kultur: Die Wiedereröffnung zweier Kinos wurde angekündigt und
gemeldet, dass der Sportbetrieb zaghaft wieder begonnenen hatte. Daneben
fand sich ein Portrait des neuen Regierungspräsidenten Julius Hange
und eine halbe Seite mit den von der Bevölkerung lange vermissten
Familienanzeigen.
Die Zeitungen standen ganz
im Zeichen des Wiederaufbaus. Mit einer breiten Verwendung von Begriffen
wie 'Aufbau', 'Wiedereröffnung' oder 'Wiederbeginn' sollten der Bevölkerung
die bereits erfolgten Verbesserungen des öffentlichen Lebens und der
Versorgung vor Augen geführt werden. Diese Schlüsselworte fanden
daher auch in den nächsten Nummern eingehend Verwendung, etwa indem
unter der Schlagzeile "Sportlicher Anlauf in Hildesheim" über das
erste Fußballspiel der Domstadt berichtet wurde. Damals schlug eine,
so der Neue Hannoversche Kurier, technisch überlegene Hildesheimer
Jugend eine Auswahl aus Harsum mit 7:2. Wie die meisten Beiträge wurden
vor allem in den ersten Monaten selbst Sportberichte von der Redaktion
für die Aufbaupropaganda genutzt und den Lesern darin die richtige
Geisteshaltung vorgegeben: "Alle Sportler waren davon überzeugt, daß
es nun auch auf dem Gebiete des Sportes wieder aufwärtsgehen wird."
Der Wunsch der Besatzungsmacht,
die Bevölkerung immer wieder zum Ärmelaufkrempeln und Anpacken
anzutreiben, war angesichts des totalen Zusammenbruchs und der Desorientierung,
die der Krieg in vielen Köpfen hinterlassen hatte, nicht unverständlich.
Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung war im August 1945
der Auffassung, dass ein wirtschaftlicher Neubeginn überhaupt keinen
Sinn mehr mache. Mutlosigkeit und Passivität beherrschten die Trümmerfelder.
Die Aufbaupropaganda entsprach in dieser Situation nicht der inneren Verfassung
der Leserschaft, sondern sollte eine andere Verfassung schaffen. Die Instrumentalisierung
der Zeitungen für die Umerziehung und ihr Charakter als offiziöse
Mitteilungsblätter mussten deshalb zu einer sinkenden Akzeptanz bei
den Lesern führen: "Die Zeitungen werden nicht sehr geschätzt,
weil sie sich zu wenig mit den wirklichen Nöten und Sorgen der Bevölkerung
befassen."
1946 wurden schließlich
nach und nach die in Niedersachsen herausgegebenen Heeresgruppenblätter
eingestellt und durch Zeitungen ersetzt, die keinen britischen Propagandaauftrag
mehr hatten. Nach dem Ende des Neuen Hannoverschen Kuriers wurde
die Hildesheimer Bevölkerung ab Anfang Juli 1946 durch die parteinahen
Lizenzzeitungen Hannoversche Presse (sozialdemokratisch), Neueste
Hannoversche Nachrichten (christdemokratisch), Abendpost (freidemokratisch),
Deutsche
Volkszeitung (der konservativen 'Niedersächsischen Landespartei'
nahe stehend) und der Hannoverschen Volksstimme (kommunistisch)
informiert, die ebenfalls unterschiedliche Regional- oder Lokalteile aufwiesen,
aber aus Hannover oder Celle stammten.
Auf eine eigenständige
Hildesheimer Zeitung musste die Bevölkerung noch gut drei Jahre warten.
Die entstand mit der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung erst wieder
im Oktober 1949, als die Briten mit Gründung der Bundesrepublik die
vollständige Pressefreiheit gewährt hatten. Nach Erteilung dieser
'Generallizenz' konnten auch jene alteingesessenen Verleger wieder aktiv
werden, für die während der Besatzungszeit wegen ihrer Beteiligung
an der Pressepropaganda des Nationalsozialismus noch ein vollständiges
Berufsverbot bestanden hatte.
U.a. vom
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Matysiak, Stefan Matysiak