2. Repräsentanz behinderter und chronisch kranker Promovierender 3. Bedingungen der Promotionsfinanzierung 3.1. Promovieren mit Hilfe von Begabtenförderwerken 3.2. Promovieren auf festen Stellen im Öffentlichen Dienst 4. Forderungen an die Zukunft Obwohl Behinderte besonders darauf angewiesen sind, eine möglichst hohe Bildung zu erhalten, sind sie überdurchschnittlich häufig von höherer Bildung ausgeschlossen. Die Minderrepräsentanz von Behinderten und chronisch Kranken im Studium setzt sich in der Promotionsphase fort und verstärkt sich. Diese Minderrepräsentanz Behinderter kann nicht auf geistige Leistungseinschränkungen zurückgeführt werden, sondern ist ein Hinweis auf strukturelle Behinderungen, die die Betroffenen in ihrem Bildungsgang erfahren und die als Diskriminierung Behinderter angesehen werden können. Deutsche Hochschulen sind
in der Regel eher behindertenfeindliche Einrichtungen. Dies äußert
sich einerseits darin, dass auf die besonderen Belange behinderter Promovierender
nur unzureichend Rücksicht genommen wird, andererseits in der niedriger
Anzahl physisch und psychisch beeinträchtigter Menschen an den Universitäten.
Das Ziel der Gleichstellung gilt auch für den Bildungsbereich. Eine ‘Entschließung des Rates der EU zur Verbesserung des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zur Wissensgesellschaft’ verpflichtet zudem die Mitgliedstaaten, Behinderten bessere Bildungschancen zu ermöglichen, und auch die UN-Konvention für die Menschenrechte behinderter Menschen enthält die Forderung nach einem diskriminierungsfreien Zugang zu allen Formen von Bildung. An den Hochschulen sind die Bedingungen für Behinderte traditionell eher ungünstig. Mitte der 90er Jahre erkannte die Kultusministerkonferenz, dass die tendenziell behindertenfeindliche Bedingungen an den Hochschulen “die Neigung [verstärken], die Probleme behinderter Studierender, die vielfach schwer erkennbar sind, zu vernachlässigen oder zu ignorieren”. Die besonderen Bedürfnisse Behinderter werden entweder nicht mitgedacht oder zumindest marginalisiert. Dafür verantwortlich gemacht wird insbesondere die Überlastsituation an den Universitäten, die “das soziale Klima belastet, [was] sich auf behinderte Studierende besonders nachteilig auswirkt”. Was bereits für Studierende gilt, trifft auf behinderte und chronisch kranke Promovierende ganz besonders zu: Auf ihre Belange wird kaum einmal Rücksicht genommen, ihre Probleme werden nicht einmal thematisiert. Da der Status der Promotion nicht eindeutig geklärt ist und Promotionen sowohl auf festen Stellen, als Stipendien oder selbstfinanziert in einer Mischsituation zwischen Studium und akademischer Arbeit erfolgen, bestehen – anders als im Studium – für behinderte und chronisch kranke Promotionsinteressenten keinerlei besonderen Beratungs- und Hilfsangebote. Auch die ansonsten im öffentlichen Leben gewährten Nachteilsausgleiche, mit denen die besonderen Erschwernisse abgefedert werden sollen, existieren für Promovierende nur sehr vereinzelt. Nur wenige Hochschulen haben bislang Nachteilsausgleiche für psychisch und physisch beeinträchtigte Promovierende beschlossen worden. So legt die Promotionsordnung der Rostocker Philosophischen Fakultät fest: “Macht der Kandidat durch ein ärztliches Zeugnis glaubhaft, dass er wegen länger andauernder oder ständiger Behinderung oder chronischer Erkrankung nicht in der Lage ist, die Verteidigung in der vorgesehenen Form abzulegen, hat der Promotionsausschuss einen Nachteilsausgleich zu gewähren; ein Verzicht auf die mündliche Verteidigung ist jedoch nicht zulässig.” Überlicherweise hat die nachwachsende wissenschaftliche Elite in der bürgerlichen Wissensgesellschaft offenbar immer noch physisch hundertprozentig leistungsfähig zu sein, denn, wie der Volksmund sagt, es steckt nur in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist. 1. Probleme behinderter und chronisch kranker Promovierender Körperlich oder seelisch eingeschränkte Promovierende sind doppelbelastet. Neben der eigentlichen Promotion bringt die Beeinträchtigung zusätzliche Schwierigkeiten mit sich. Behinderte benötigen in aller Regel mehr Zeit zur Wiederherstellung und Erhaltung ihrer Arbeitskraft. Bereits bei Studierenden bedeuten diese Beeinträchtigungen eine Mehrbelastung, die einen ”besonderen organisatorischen, zeitlichen und materiellen Aufwand” abverlangt. Und schon bei den Studierenden gelingt es nicht in jedem Fall, diese zusätzliche Belastung zu kompensieren, weshalb diese Studierenden ihr Studium in vielen Fällen weniger komplikationslos als der Durchschnitt der Studierenden absolvieren. Die Beeinträchtigungen der Behinderten und chronisch Kranken führen zu einer gegenüber nicht beeinträchtigten Studierenden deutlich erhöhten Zahl von Studienunterbrechungen, die zumeist mit der Behinderung oder chronischen Erkrankung begründet werden. Jede/r Zweite der stark sowie mehr als jede/r Dritte der mittelschwer beeinträchtigten Studierenden unterbricht zeitweilig wegen der Beeinträchtigung bzw. zur Regeneration das Studium. Die körperlichen Einschränkungen, die eine Behinderung oder chronische Erkrankung mit sich bringen, beeinträchtigen auf ähnliche Weise auch Promovierende. In einer Untersuchung für die Hans-Böckler-Stiftung gaben 19 Prozent ihrer behinderten und chronisch kranken Promovierenden an, unter mittelschweren Beeinträchtigungen zu leiden, 13 Prozent fühlen sich schwer beeinträchtigt. Den Betroffenen erwächst dabei aus ihrer körperlichen Beeinträchtigung eine Vielzahl von Nachteilen. Sie benötigen mehr Zeit für die Anfertigung ihrer Arbeit und längere Erholungspausen, außerdem entsteht ihnen ein finanzieller Mehrbedarf. Krankheitstage bedeuten generell Arbeitsausfälle und Beeinträchtigungen des Sehens führen zu einer Reduzierung der Zeitdauer, die vor dem Computer gesessen bzw. gearbeitet werden kann. Medikamente, Allergien sowie chronische Schmerzen reduzieren die Konzentrationsfähigkeit und verlangsamen bzw. unterbrechen die Arbeitsprozesse. Die Zeit für physiotherapeutische Behandlungen, Arztbesuche oder Operationen geht von der Promotion ab, Hörbehinderungen stören bei der Transkription von Interviews. Krankheits- oder behinderungsbedingten Mehraufwendungen entstehen bei der Realisierung der Promotion etwa bei Hörbehinderungen für notwendige besonderes hochwertige Aufnahmegeräte für die zur Promotion benötigten Interviews. Bei hochgradigen Sehstörungen ist die Versorgung und Verarbeitung von Literatur schwierig und zeitintensiv, zudem führen wesentliche Mobilitätseinschränkungen zu starken Arbeitsbeeinträchtigungen. Erhöhte Aufwendungen für die Lebensführung entstehen durch selbst zu finanzierende Behandlungen (etwa auch für Heilpraktiker), für Hilfsmittel und Helfer, zudem sind Mehrkosten zur Sicherung einer angemessenen Diät sowie Aufwendungen zur die Sicherung der Mobilität möglich. Da nur ein geringer Teil dieser Belastungen durch Nachteilsausgleiche aufgefangen wird, stellt die Frage nach einer Promotion für behinderte und chronisch kranke Studierende eine schwerwiegendere Entscheidung dar als für unbeeinträchtigte Menschen. 2. Repräsentanz behinderter und chronisch kranker Promovierender Neben den physischen Nachteilen der bereits im Promotionsprozess befindlichen chronisch Kranken und Behinderten kommt es bereits im Vorfeld, beim Zugang zur Promotion, zu Benachteiligungen von beeinträchtigten Studierenden. Insofern eine Erkrankung oder Behinderung negativ auf die Studienleistungen durchschlagen, bedeuten sie bei der Auswahl der PromotionskandidatInnen einen Nachteil gegenüber nicht beeinträchtigten Studierenden. Auch die in der Regel längere Studiendauer benachteiligt behinderte und chronisch kranke Studierende im Konkurrenzkampf um Stellen oder Stipendien bzw. schließt Behinderte vielfach aus den Auswahlverfahren aus, etwa wenn wegen der Behinderungen das Höchstbewerbungsalter überschritten wurde. Die Folge ist, dass die Rekrutierung und Weiterförderung von studierenden Behinderten in Richtung einer Promotion zahlenmäßig offenbar geringer ausfällt, als ihrem Studierendenanteil entspräche. Gesundheitlich eingeschränkte Menschen sind unter den Promovierenden unterrepräsentiert. Exakte Statistiken, die Auskunft darüber geben könnten, inwieweit körperlich beeinträchtigten Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe an höherer wissenschaftlicher Hochschulbildung gelingt, existieren zwar nicht, was insbesondere darin begründet liegt, dass die Behinderungen von Promovierenden nicht zuletzt angesichts ihres jeweils unterschiedlichen Status nicht zentral erfassbar sind. Deutlich ist jedoch, dass unter den Schwerbehinderten überhaupt lediglich sechs Prozent eine Universität absolviert haben, unter den leicht Behinderten (mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 v. H.) sind es 8,6 Prozent. Der Anteil der Hochschulabsolventen unter der Durchschnittsbevölkerung beträgt hingegen 11,5 Prozent. Was die behinderten und chronisch kranken Promovierenden angeht, lässt die Studie der Hans-Böckler-Stiftung ein quantitatives Schlaglicht für den Bereich der Begabtenförderung zu: Während nach einer EU-Studie 18,3 Prozent der 25- bis 44-Jährigen durch körperliche Beeinträchtigungen an ihren Aktivitäten gehindert sind (davon 1,6 Prozent schwer), waren von den Böckler-Promovierenden lediglich zwei Prozent behindert. Während 12,1 Prozent der 25- bis 44-jährigen Deutschen eine chronische Erkrankung aufweisen, sind es unter den Promovierenden der Hans-Böckler-Stiftung lediglich sieben Prozent. Und während sich von den Studierenden im Alter von mehr als 28 Jahren insgesamt 18 Prozent als chronisch krank oder behindert bezeichneten, waren es von den Promovierenden der Hans-Böckler-Stiftung lediglich noch halb so viele, nämlich insgesamt rund 9 Prozent (33 Betroffene). Andere Begabtenförderwerke berichten ebenfalls von einer geringeren Zahl von behinderten Promovierenden. Der Übergang vom Studium zur Promotion scheint offenbar für Behinderte und chronisch Kranke eine nur schwer zu überwindende Hürde darzustellen. Obwohl Behinderte besonders darauf angewiesen sind, eine möglichst hohe Bildung zu erhalten, sind sie offenbar überdurchschnittlich häufig von der Promotion ausgeschlossen. Die Minderrepräsentanz körperlich und seelisch eingeschränkter Menschen in der Promotion kann dabei nicht auf geistige Leistungseinschränkungen zurückgeführt werden, sondern ist ein Hinweis auf strukturelle Behinderungen, die als Diskriminierung Behinderter angesehen werden müssen. Größere Bemühungen, die Bedingungen für chronisch kranke und behinderte Menschen so zu gestalten, dass sie eine gleichberechtigte Chance auf eine Promotion erhalten, sind im deutschen Universitätswesen nicht zu erkennen. 3. Bedingungen der Promotionsfinanzierung Eine Promotion wird neben der Selbstfinanzierung vor allem mit öffentlichen Mitteln bestritten, so auf einer (halben) Stelle an der Universität oder mit einem Promotionsstipendium eines Begabtenförderwerkes. Auf beiden Förderwegen sind Behinderte und chronisch Kranke auf unterschiedliche Weise erwünscht bzw. wird auf ihre Belange Rücksicht genommen. 3.1. Promovieren mit Hilfe von Begabtenförderwerken Eine größere Zahl von Promotionen wird durch diverse Studienstiftungen gefördert, die dazu Gelder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erhalten. In der Promotionsförderung dieser Begabtenförderwerke werden chronisch kranke und behinderte Promovierende bislang deutlich benachteiligt. Nachteilsausgleiche, wie sie in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens und der Arbeitswelt fest verankert sind und wie sie in der Begabtenförderung wegen der Belastung durch die Kindererziehung auch Eltern gewährt werden, sind für physisch und psychisch beeinträchtigte Promovierende nur begrenzt vorgesehen: Immerhin kann die Förderungshöchstdauer aber um bis zu ein auf vier Jahre verlängert werden. Neben den allgemeinen Begabtenförderwerken bestehen zwar etwa mit der Stiftung zur Förderung körperbehinderter Hochbegabter und der Dr. Willy-Rebelein-Stiftung Einrichtungen, die sich ausdrücklich der Förderung Behinderter verschrieben haben, diese können jedoch nur eine geringe Zahl von Betroffenen unterstützen. Einzelne Stiftungen wie die Hans-Böckler-Stiftung haben jedoch immerhin in ihren Aufnahmerichtlinien einen Bonus für Behinderte vorgesehen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung lässt im Bewerbungsverfahren Ausnahmen zu, sollte aufgrund einer Behinderung die Altersgrenze überschritten sein. Nachteilsausgleiche für die bereits aufgenommenen Behinderten gibt es in den einzelnen Stiftungen nur zum Teil und nur auf niedrigem Niveau, so vereinzelt die Übernahme von Kosten etwa für Leserhilfen oder Gebärdensprach-Dolmetscher. 3.2. Promovieren auf festen Stellen im Öffentlichen Dienst Das Promovieren auf Stellen im öffentlichen Dienst bedeutet zunächst einmal einen theoretischen Vorteil. So sind Schwerbehinderte bei gleicher Eignung bei Einstellungen im öffentlichen Dienst bevorzugt zu berücksichtigen. Zudem verpflichtet das Neunte Sozialgesetzbuch die Universitäten, Schwerbehinderte in jedem Fall zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, um die Einstellungschancen dieser Bewerberinnen zu verbessern. Unterbleibt das Gespräch, kann die Universität auf ein Schmerzensgeld in Höhe von bis zu drei Bruttomonatsgehältern verklagt werden. Für die Promotion auf einer Stelle sprechen zudem – neben der generell vorteilhaften Sozialversicherungspflicht – die besonderen Schutzmaßnahmen, die Behinderte genießen. Diese umfassen etwa einen Zusatzurlaub oder das Recht zur Ablehnung von Mehrarbeit. Was auf dem Papier relativ gut klingen mag, entpuppt sich in der Realität jedoch häufig als Papiertiger. In der Regel werden die Vorgaben des SGB IX an den Universitäten nicht beachtet, und die als Nachteilsausgleich zu gewährende Bevorzugung von Schwerbehinderten kommt ebenfalls selten zum Tragen. Zudem dürfte es aufgrund der universitären Machtstrukturen nicht zu den einfachen Dingen gehören, vorgesetzte Professoren von den besonderen Rechten Schwerbehinderter zu überzeugen. Auch eine Verlängerung einer befristeten Beschäftigung auf einer Promotionsstelle ist wegen einer aus einer Behinderung resultierenden geringeren Arbeitsfähigkeit nicht vorgesehen. Während körperlich beeinträchtigte Menschen im Studium und im Berufsleben durch eine Vielzahl von Nachteilsausgleichen gleiche Lebens- und Berufschancen erhalten sollen, sind derlei Nachteilsausgleiche in der Promotionsförderung bislang so gut wie nicht vorgesehen. Physisch oder psychisch beeinträchtigten Menschen ist eine gleichberechtigte Teilhabe an der Promotion und damit die Entfaltung ihres Potenzials häufig verwehrt oder zumindest erschwert. Um diesen beeinträchtigten Menschen auch im Bereich der Promotionsförderung die gleichen Lebens- und Berufschancen zu gewähren, müssten einerseits eine Reihe von Nachteilsausgleichen eingerichtet werden. Andererseits müsste jedoch auch bei den Nichtbehinderten – und hier vor allem den Entscheidungsträgern – ein Bewusstsein über die besonderen Probleme chronisch kranker und behinderter Promovierender sowie über deren Rechte auf Teilhabe geschaffen werden. Auf diese Weise könnte,
wie von der Bundesregierung gefordert, auch im Bereich der Promotion „die
Lern- und Bildungsfähigkeit unter Berücksichtigung der jeweiligen
Behinderung so gut wie möglich“ gefördert und auch auf der Ebene
der höheren wissenschaftlichen Bildung die Gleichberechtigung behinderter
Menschen umgesetzt werden.
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